! Torodora Gorges: „Ich besuche eine bestimmte Corrida, weil ich mich für einen bestimmten Torero interessiere, und nicht, weil eine bestimmte Ganadería auf dem Cartel steht. Ich reise aber auch immer wieder zu einer Feria, bei der außer "meinem" bevorzugten Torero verschiedene andere Toreros auftreten, die ich nicht so gut kenne oder Novilleros, die (mir) noch nicht bekannt sind. So habe ich allmählich gelernt, stärker auf die Herkunft des Toro zu achten. Aber ich kenne mich (immer noch) nicht so sehr gut aus mit Stärken und Schwächen der unterschiedlichen Züchtungen. Mein Verhältnis zu den Stieren speist sich aus Empathie, compasión und kindlichem Mitleid, wenn ich sehe, wie sie in der aktuellen Situation leiden. Natürlich weiß ich, dass es ihnen besser geht als den meisten Tieren, die von Menschenhand durch Menschenwillen zum Nutzen des Menschen getötet werden. - Das Publikum applaudiert einem guten Stier, ein "schlechter" Stier wird ausgepfiffen. Negative und postive Reaktionen gelten dem Züchter. Trotzdem teile ich nie Unmutsäußerungen, solange der Stier noch lebt. Ich kann ihm und seinem Mut Beifall zeigen, vor und nach seinem Tod. Über das Empfinden von Ambivalenz habe ich mich ja schon mehrfach geäußert.
! T.G. : An diesem Vormittag im September 2012 in Nimes traf JT auf sechs Toros aus sechs verschiedenen Ganaderías. Der von JT beauftragte Veedor(wählt die Stiere aus) hatte eine glückliche Auswahl getroffen, die dazu beitrug, dass dieser Vormittag zu einem historischen Ereignis wurde. Den vierten Stier, einen Parladé mit Namen "Ingrato", traf das Los der Begnadigung. Ein Stier, der in El País als `codicioso´ beschrieben wurde, mit dem JT eine enge Verbindung einging! Sechs Stiere sind für einen einzigen Matador eine Herausforderung nicht nur an Stärke und Mut, sondern an Einfallsreichtum und Kreativität. Es kommt nicht selten vor, dass einer der Toros von einem Torero en solitario begnadigt wird. Vermutlich wird sich JT vor seinem Auftritt in Nimes über ein mögliches Indulto Gedanken gemacht haben. Rosa Jimenez Cano lobte in ihrer Besprechung in El País diesen begnadigten Toro wegen seiner besonderen Qualitäten, als hätte es keine andere Wahl für JT gegeben: Ihm, dem Toro von Parladé, gebührte der Indulto. Was diese Begnadigung rechtfertigte? Ich bin nicht sicher, ob nicht auch ein anderer Toro dieses Vormittags (außer dem letzten, dem Toro von Cortés), das indulto verdient hätte. Möglicherweise akkumulieren sich auch im beherrschtesten Torero von der Größe eines José Tomás Gefühle der Dankbarkeit für das Geschenk, das die drei vorausgegangenen Stiere ihm mit ihrem Leben gemacht hatten. Und nicht immer ist ein Indulto Garantie für ein "zweites Leben" des toros als Zuchtstier auf der Weide. - Ich hoffe, dass "Ingrato" wirklich überlebt hat und ihn nicht das gleiche Schicksal ereilt hat wie den Toro "Idílico", ein wirklich begnadeter Toro bravo aus der Ganadería Nunez de Cuvillo, den JT am 21. September 2008 in Barcelona während der Feria de Mercè indultiert hatte. Die Nachricht von seinem Tod machte mich sehr traurig.
! T.G. : Der Stier geht seine eigenen Wege, er ist unruhig, nervös, zerstreut, er knickt ein, er wird vorzeitig müde. Der Torero, die Cuadrilla besonders zunächst einmal, bemüht sich, den Toro in die richtige Bahn zu lenken. Ich beobachte, wie alle Zuschauer, welche Technik, welche Anstrengung eingesetzt wird, um den Stier zur Kooperation zu bewegen. Oft gelingt es. Es gelingt manchen Toreros besser als anderen. Ich habe El Juli erlebt, wie er schließlich zwei Ohren eines Stiers erhielt, dem das Publikum anfänglich mit heftigem Unmut begegnet und dessen Auswechslung gefordert worden war. Auch Ponce kann mit großer Kenntnis und geduldiger Eleganz auf den Toro mit Schwächen eingehen. Mit Vergnügen sehe ich immer wieder gerne, wie El Cordobes es schafft, um einen Toro zu werben und damit das Publikum zu gewinnen, auch wenn es nicht die "klassische" Art ist. Der Toro trägt ganz erheblich, wenn nicht sogar total zum Triumph des toreros bei - wenn es dem Torero gelingt, ihn für sich zu gewinnen.
! T.G. : Im Jahr 2010 sah ich Rafaeillo in Bilbao, bei einer Corrida conmemorativa zum 100. Geburtstag des Clubs Concherito. Diesen Torero, bekannt für seine Auftritte mit Toros aus den Encastas duras, hatte ich zuvor kaum zur Kenntnis genommen. Ich war hingerissen von der energischen Art, wie er mit seinem einzigen Stier, einem Palha, umging. Immer wieder entzog sich der Toro, bewegte sich unberechenbar, eigenwillig und wurde immer gefährlicher. Rafaelillo war unermüdlich, setzte seine ganze athletische Körperlichkeit ein; aber das Publikum reagierte undankbar, nahm ihm übel, dass es zu keinem "Zusammenspiel" kam. Ich fand das sehr ungerecht diesem Maestro gegenüber. Als ich später am Abend zufällig an der Bar des Hotels neben ihm und seinem Apoderado, Fernando Cepeda stand, lobte ich spontan sein Engagement mit dem Exemplar der Toros duros. Es schien mir wichtig, obwohl mein Spanisch ziemlich holprig klingt. Es hat ihn gefreut, er wiederholte meine Anerkennung gegenüber seinem Manager und wir versuchten immerhin noch einen kurzen Austausch über die europäische Afición. - In Nìmes im Mai 2012 war ich bei einer Corrida de toros, die zu den beeindruckendsten meines taurinischen Lebens gehört: EIN Torero - Javier Castano! - mit SECHS Miuras! - Was hatte ich erwartet? Viel Tapferkeit, Bravura auf beiden Seiten, Eleganz und Arte aber nicht. Grundsätzlich gefielen mir diese schweren Tiere bei früheren Gelegenheiten nicht; sie kamen mir plump und unberechenbar bedrohlich vor. Ich hatte den Eindruck, ein Torero hat nicht viele Optionen in seiner Konfrontation mit einem Miura. - Dieser Nachmittag belehrte mich eines besseren. Die Stiere machten es
Javier Castano nicht leicht, aber sie ließen sich leiten. Sie waren in ihrer Angriffslust archaisch schön und kooperierten mit dem Maestro, der auch seine Artistaseite und nicht nur Verteidigungstechnik zeigen konnte.Castano war von einer hervorragenden Cuadrilla begleitet mit ausgezeichneten Banderilleros, die viel Applaus bekamen, besonders nach der gefährlichen Voltereta einer ihrer Kollegen. Ein aufregender Nachmittag mit einem absoluten Höhepunkt, für mich jedenfalls eine Neuheit: Der Picador lockt den Stier über die ganz Distanz des ovalen Rondells (in der Arena von Nimes besonders weit) zum Angriff! Es gelingt, nicht nur einmal, und zweimal, sondern gleich auch ein drittes Mal. Wir waren begeistert vom Stier und vom Picador, der danach eine Ehrenrunde erhielt. Javier Castano und seine Mannschaft und (ich weiß es nicht mehr) vermutlich auch der Mayoral der Miuras verließen die Plaza durch die Puerta de los Consules.
! T.G. : Ich weiß, dass Morante mit Victorinos "kann", also auch triumphieren kann. Warum könnte er es nicht mit Miuras auch (wagen)? Vielleicht aber, um realistisch zu bleiben, müsste er an seiner körperlichen "Fitness" so hart arbeiten, dass der Duende vertrieben würde, den er braucht für seine Form der Arte. Möglicherweise aber muss man auch mit der Arbeit und dem Engagement für Miuras in sehr viel jüngeren Jahren begonnen haben.
? Wir beide, Morantistas, wissen das der Maestro wirklich mit jeder Encaste ‘kann’ . Ich würde ihn gerne öfter mit Victorinos, oder anderen Toros dieser Encaste sehen, welchen Stier würdest Du für ihn aussuchen?
! T.G. : Ich weiß nicht, welchen Stier ich aussuchen würde. Vielleicht einen Miura der oben beschriebenen Generation .
! T.G. : Eventuell würde ich nach Mexiko reisen, wenn es gelänge, Esplá, Morante und Joselito zusammen auf einem Cartel zu erleben. Die Herkunft der Stiere, wie meine Interviewerin schon ahnen wird, wäre mir zwar nicht egal, aber ich ließe mich schon gerne überraschen. Auch in Mexiko werden gute Stiere gezüchtet. Und diese drei "Figuras" würden ebenfalls eine gute Wahl treffen. Dessen bin ich sicher. Viva el toro bravo!
Ein wahres Wort, Viva el toro bravo! Ich freue mich, das die Autorin, Torodora Gorges bereit war, sich auf ein etwas anderes Interview einzulassen. Es ist wichtig, denke ich, das man als Aficionado auch bereit ist, sich mit den Eigenheiten der verschiedenen Stiere auseinander zu setzen, um, mitunter mit überraschenden Eindrücken, über die wirkliche Qualität einer Faena, einer Corrida, eines Toreros und eines Stieres klar zu werden. Ich bedanke mich von ganzem (Aficionado.-) Herzen, für die Zeit und Mühe, die von Torodora Gorges geopfert wurde, um sich, für uns, mit diesem Thema auseinander zu setzen. Muchas gracias, Aficionada!
Webside der Autorin: www.torodoro.com