Finca Ganadera "Jandilla"
- Ganadería "Toros de Lagunajanda" -
am 15. September 2017
Wie gut, dass es Colin gibt, meine deutsche Internetfreundin. Eine große aficionada práctica, Kennerin der taurinischen Landschaft im wahren Sinn des Wortes! Sie liebt die toros und vermittelt diese Passion in deutscher und spanischer Sprache den Lesern ihres blogs. Ihr haben wir - mein Mann und ich und unsere beiden Freunde - einen der eindrucksvollsten Tage in unserem Andalusienurlaub zu verdanken. Was den mundo taurino betrifft, kennt C. sich wegen ihrer regelmäßigen Aufenthalte in Sanlucar de Barrameda hervorragend aus. So konnte sie für uns den Kontakt mit der Finca Jandilla, die auch als "Wiege" des Domecq-Stiers gilt (Finca legendaria considerada cuna del toro de Domecq), herstellen. WhatsApp und Messenger erleichterten die Verabredung für eine "private Führung" mit Salvador de la Puerta Domecq.
Nun fuhren wir in der Finca weiter. Es war inzwischen hell geworden, wenn auch noch etwas dunstig. In der Ferne waren toros zu sehen. Hinter Zäunen und weit genug weg! Wir halten an, verlassen den Wagen und werden Zeugen eines überwältigenden Naturschauspiels: Die ersten Sonnenstrahlen streifen durch den Nebel, am Himmel steigen immer wieder neue Vogelschwärme auf, in Formationsflügen begrüßen sie den Tag mit ihren Weckrufen. Es ist eine aufregende, ungewohnte Szenerie. Die Hasen, die wir auf der letzten Wegstrecke im Auto bis zum Treffpunkt mit Salvador aufscheuchen, sind auch nicht alltäglich für uns, von den Stieren als Anlass unseres Besuchs ganz zu schweigen.
Nun hatten wir unser Ziel nach dieser Ouverture - pünktlich - erreicht.
Salvador de la Puerta Domecq trat aus dem Eingangsgebäude der kleinen Plaza de Toros. Ein seriöser Mann mittleren Alters, ein Land-Mann! Ein ganadero! Die Körperhaltung verrät einen Menschen, der seit Kindesbeinen mit Pferden aufgewachsen ist. Er trägt Jeans, blaues Hemd, Pullover, passend für die anstehenden Aufgaben - die Fütterung der Stiere. Genausogut aber kann man ihn sich im Habit des gediegenen Geschäftsmanns oder Bankers denken. Sicher im Auftreten, umsichtig, vertrauenerweckend.
Bevor die "Führung" losgeht, halte ich den Zeitpunkt für geeignet, ihm mein Morante-Buch zu übergeben. Zwar habe ich nur ein deutsches Exemplar, aber es erfüllt seinen Zweck: Es
vermittelt Salvador de la Puerta y Domecq eine Vorstellung vom taurinischen Wissensstand seiner Besucher(innen). Er freut sich über das regalo und fragt dazu noch einiges. Morante - soviel ich weiß - schätzt die "Jandillas", natürlich war er auch schon hier zum tentadero. Dann dürfen wir im Pickup Platz nehmen. Es ist ein ziemlich alter, sehr verstaubter und etwas ramponierter dunkler Toyota mit zerrissenen Sitzen, an dessen Eigen- und Besonderheiten - vergleichbar dem Stallgeruch - die Stiere gewöhnt sind. Ein neues Fahrzeug würde sie irritieren und verstören.
Salvador muss für die Einfahrt in die Weidereviere der unterschiedlichen Stiergruppen den Wagen verlassen, um die Gattertore zu öffnen bzw. dann wieder zu schließen. Ich beobachte von meinem Beifahrersitz, dass ihm das Aus- und Wiedereinsteigen erhebliche Beschwerden verursacht. Que pasó?
Salvador erzählt, sichtlich und hörbar noch sehr beeindruckt von dem gestern erlebten Schrecken: Er saß auf seinem Pferd, hatte das Gatter gerade geöffnet und nahm aus dem Augenwinkel wahr, dass einer aus der Weidegruppe der vierjährigen Stiere, ich hoffe, dass ich mich richtig erinnere) ihn ins Visier nahm.
"I recognized: this special bull ment me. This toro thought: I want you! You are the one I want!"- Salvador wurde auf seinem Pferd vom bedrohlich anstürmenden Stier in die Enge getrieben, er ging mit dem Pferd am Gatter zu Boden. Beide konnten sich retten. Schmerzhafte Prellungen beim Reiter waren die Folge. Salvadors Bericht über den "susto" verdeutlichte uns, dass mit den Stieren, die blitzartig durchstarten können, nicht zu "spaßen" ist.
Wir fahren weiter durch die Weideflächen des endlosen campo bravo.
Zunächst halten wir bei den Jungtieren von etwa neun und noch einigen Monaten mehr. Auf der Ladefläche liegen Säcke mit Futter, die Salvador in große Steintröge füllt. Bald sind sie von hungrigen "Halbstarken" umringt. - Wir erfahren, dass drei verschiedene Futtersorten für drei Stiergenerationen erforderlich sind: eine für die Jungstiere; eine für die mittlere Generation, die für zukünftige corridas gebraucht werden; die dritte für die meist schon älteren Herren "sementales", deren herausragende Fähigkeiten weiter vererbt werden sollen. Ihre tapferen Gene dürfen sie unter natürlichen Bedingungen in freiheitlichen Begegnungen mit ausgesuchten, tapferkeitserprobten Mutterkühen weitergeben. Naturbelassen, ohne menschlich-apparatöse Beihilfe.
Salvador stellt uns eine "bewährte" Mutterkuh - sie trägt die Nummer 392 - vor. Man spürt in seinem Lob die stolze Zuneigung und das Engagement des Züchters. Wir sind überrascht über die relativ zierliche Schönheit dieses Muttertiers. Oft aber müssen wir auf unsere diesbezüglichen Nachfragen verzichten, da sich immer wieder neue Eindrücke ergeben. Salvador macht uns unermüdlich aufmerksam auf Fauna und Flora des campo bravo: Feigenbäume (higueras), sowie uralte wilde Olivenbäume (acebuches), zum Teil 400 bis 500 Jahre alt. Es gab diese ausladenden Schattenspender schon zu den Zeiten, als die Araber das heutige Gebiet der Lagunajanda einnahmen, der Name "La Janda" verweist auf den arabischen Ursprung. Nebenher entdeckten wir Fasane, Wachteln und Rebhühner im trockenen Weidegras sowie die weißen Kuhreiher, die überall in den Weideflächen für die Fellpflege von Rindern und Pferden zuständig sind. Ringeltauben, und größere Mengen von braunen Stock- und seltenen Löffel-Enten fliegen immer wieder auf.
Die Zeit unserer Führung durch den campo bravo ist begrenzt - wir kommen aus dem Staunen und Fragen nicht heraus. Vor einiger Zeit hatte ich das Buch von Joselito "Los toros explicados a mi hija" gelesen. Ähnlich eindrücklich wie José M. Arroyo "La verdad del campo" beschreibt und den toro bravo als Garant des reinen "ecologismo", des Erhalts und des Schutzes der Umwelt darstellt, überzeugen uns nun auch diese Einblicke davon.
Wir steigen wieder aus, im "Schutz" unseres Toyota - vor uns ganz in der Nähe, aber hinter einem Zaun, eine Herde von stattlichen schönen utreros (ungefähr dreijährige, manchmal bis vierjährige toros). Ihr Fell glänzt rötlich-braun in der Sonne. Wachsam, ohne spürbare Spannung beobachten sie uns. Wir bestaunen sie schweigend. Einer von uns, der für sein Foto eine geeignetere Position sucht, entfernt sich aus der Sicherheitszone um den Pickup um wenige Meter. Da erlebe ich unseren sanften Begleiter Salvador zum ersten und einzigen Mal streng. Er zitiert den "Ausbrecher" scharf zurück. Die Warnung wird verstanden.
Wir sehen unterwegs wundervolle "erwachsene" Stiere unter den wilden Ölbäumen entspannt liegen. Deren Kronen bilden sommers bei der Sonnenhitze wie winters bei Kälte, Regen und Wind ein schützendes Dach . - Manche der vier- bis fünfjährigen "bravos" werden den kommenden Winter oder aber auch die nächste taurinische Saison (temporada) im folgenden Jahr nicht mehr erleben. Sie sind schon ausgewählt im Hinblick auf ihre Tauglichkeit für die ihnen bestimmten Plazas, zu denen sie dann transportiert werden, wenn die Zeit ihrer corrida oder novillada gekommen ist. Wenn wir es richtig verstanden haben, sind nach aktuellem Stand 70 corridas mit den toros der ganada Jandilla für die nächste temporada taurina in Spanien geplant. Wir haben solche bereits ausgewählten Gruppen gezeigt bekommen, allerdings ohne mir zu merken, für welche carteles in der diesjährigen temporada sie vorgesehen sind.
Salvador kennt die Namen aller dieser Stiere sowie die Orte ihrer Begnadigung: Orégano in Cuella, Lenguadulce in Murcia, Jaleado in Andujar; wo Guapito das Leben geschenkt wurde, habe ich leider wieder vergessen.
Unsere "Rundfahrt" durch die dehesas bravas war - wie schon erwähnt - zeitlich begrenzt. Wir konnten zum Abschluss noch die "Schätze" im Vorbau der kleinen Plaza anschauen: Fotos und Bilder an den Wänden, Stierköpfe, signierte Capotes, die ganzen taurinischen
Reliquien. Wir fotografierten sie und uns gegenseitig. Draußen wartete inzwischen schon Salvadors nächste Verabredung: Ein veedor, nicht mehr aktiver torero bzw. matador de toros, dessen Namen ich mir nicht gemerkt habe. Leider!
Zum Abschied schenkte uns Salvador die Nummer 26 der Cuadernos de Tauromaquia vom Frühjahr 2015. Diese in Hochglanz gedruckte luxuriöse Zeitschrift gehört gegenwärtig durch ihre brillanten Beiträge zu den schönsten taurinischen Publikationen. Der Artikel von meinem alten Bekannten Àlvaro Acevedo mit Fotos von Carlos Nunez "Fincas Ganaderás. Jandilla" ergänzt und erweitert all das, was ich nach unserem Besuch auf der Finca erinnern und notieren konnte. Ich möchte mein Wissen über den mundo de toros unbedingt durch weitere Besuche im campo bravo vertiefen können.
Ich schließe diese Notizen heute, am 4. Oktober 2017, ab. Der große verehrte Ganador
Don Victorio Martín, vor 2 Tagen im Alter von 88 Jahren gestorben, ist heute beerdigt worden. D.E.P.
Der geneigte Leser kann sich gerne an mich wenden, wenn er in Spanien urlaubt und Lust hat, die Stiere in ihrem natürlichen Lebensraum zu besuchen.